Samstag, 25. Juli 2009

Der Tag an dem die Welt Kopf stand

Der Tag an dem die Welt Kopf stand war im Grunde kein besonderer Tag. Es war ein Wochentag wie jeder andere, so bezeichnete ihn jedenfalls der Kalender. Der Tag hatte aber trotzdem mehr zu bieten und dafür musste er eigentlich nur passiv das sein, was er immer war: Schlicht und einfach ein Tag.

Es war der Tag an dem die Welt Kopf stand. Urplötzlich aus dem Nichts drehte sich das Gefüge der scheinbaren Realität um 180 Grad. Es war ein schneller Vorgang, so schnell wie auch unerwartet. Daher konnte sich niemand dem Wandel entziehen, auch wenn er das gewollt hätte. Die Welt stellte sich einfach auf den Kopf.

Wer vorher noch mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, schien plötzlich zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Wer vorher noch den Mond anheulte, der wurde nun seinerseits von der Sonne angestrahlt. Wer gerade noch glücklos auf der Verfolgung war, der wurde nun augenblicklich vom Glück gejagt. Wer dachte, er hätte die Weisheit auf seinem Löffel gefangen, dem schien die Luft aus seinem Schloss zu entweichen. Wer sich vorher fest an die Realität klammerte, der erwachte plötzlich in seinen Träumen. Wen das Fernweh plagte, der entdeckte die Welt hinter dem Horizont. Wer sich erst noch hilflos durchs Nichts zu kämpfen hatte, dem wurde die Möglichkeit gegeben, die Sterne in den Himmel zu hängen. Wer sich aber im freien Fall zum bodenlosen Nichts befand, der sah so endlich wieder ein Licht am Ende des Tunnels. Und wer sich bereits im Kopfstand befand, der hing nun mitten drin, mitten in dieser Welt.

Es war im Grunde kein besonderer Tag. Es war ein Wochentag wie jeder andere, so bezeichnete ihn jedenfalls der Kalender. Es war lediglich der Tag an dem die Welt Kopf stand.

Montag, 20. Juli 2009

Helmut

Helmut hatte alles, was ihn eigentlich glücklich machen sollte und Helmut war anders. Helmut war anders als die anderen. Oder die anderen waren anders als Helmut. Der Blickwinkel blieb derselbe und Helmut war die Ausnahme, die die Regel bestimmte. Helmut wollte sein Sein aber nicht passiv hinnehmen, er wollte es aktiv gestalten sowie es alle anderen taten. Er wollte die Täler seines Innern wölben, wollte die Berge, die seinem Ich im Weg standen versetzen, er wollte sich als neuen Stern zu den anderen an den Himmel hängen. Helmut wollte jemand sein wie es alle anderen waren. Helmut war anders.

Helmut ging viel auf den Strassen umher, sass lange Zeit, Tage und auch Nächte, bei Giesskannenwetter wie auch Bruthitze auf der Bank am Platz und studierte die anderen. Er studierte alle anderen. Er beobachtete und notierte, er füllte Seite um Seite seines inneren Auges mit den Bildern der anderen. Er überlegte, formte und notierte. Er zerbracht Träume, um sogleich Neue zu Türmen. Er machte nur dann eine Pause, um sich auf der Terasse seines augenblicklichen Luftschlosses zu sonnen bevor er mit einem gezielten Nadelstich und einem Lautenkrall seine Vision in sich zusammenbrechen liess. Helmut wollt anders sein.

Helmut kramte immer wieder in seinen Erinnerungen. Er bog da und dort gerade, was ihm an sich krumm eschien. Er mache aus Winkeln, geschmeidige Bögen, er setzte da und dort einen um den anderen Zacken in die Krone seines vemeindlichen Glücks. Er war überall und erschuf. Er erschuf sich neu. Helmut liess sich anders werden, anders wie alle anderen.

Eines Tages, es war morgen, der Regen nieselte auf den grauen Asphalt des Alltags, wachte er auf. Er stellte verblüfft fest, als er sich anzog, seinen morgentlichen Kaffee trank, dazu ein spährliches Frühstück einnahm und sich mit seinen Auto auf den Weg zur Arbeit machte, nur um mit allen anderen im Stau zu stehen, das etwas anders war. Er war anders. Er trank eigentlich keinen Kaffee, er ass kein spährliches Frühstück, vor allem nicht früh und er stand sonst eigentlich nie im Stau. Etwas war anders oder war es er, der das etwas anders machte? Helmut hatte sein Ziel erreicht, er war wie alle anderen geworden. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit tiefer Genugtung.

Helmut traf um neun im Büro ein, wie alle anderen. Er startete seinen Computer auf, wie alle anderen. Er arbeitete, machte rechtzeitig Pause, ging zeitlich essen, arbeitete wieder und verliess seine vier arbeitlichen Wände wieder wie es auch alle anderen Taten. Ein schönes Gefühl, fand Helmut. Er sass am Abend da, schaute sich die Sendungen im Fernseher an, die alle anderen auch sahen und genoss sein neues Dasein.

Die Jahre zogen dahin. Helmut war darauf bedacht, seinen Status als gleichgesinnter mit allen anderen nicht zu verlieren. Er versuchte sein Leben nach allen anderen zu richten. Er organisierte sich wie alle anderen.

Helmut war anders als alle anderen, sein ganzes Leben lang. Helmut starb einsam.