Montag, 3. September 2012

Erzähl mir eine Geschichte

"Erzähl mir eine Geschichte", sagte es leise zu sich selber und doch irgendwie zur ganzen Welt. Dies verriet jedenfalls der schwer wehmütige Tonfall. "Bring mich hier raus, ich werde zerdrückt...zeig mir die Welt, ich möchte mal über den Rand sehen...beweg mich vorwärts, ich möchte meinen Horizont erweitern... bring mich hier raus..." Es lauschte ruhig in die Nacht. Dunkel war es, nur der Wind hörte man sich leise durch das Gebälk winden. Es seufzte lauft und deutlich, dass sogar die einzelnen Seiten in Schwingung gerieten, als würden sie... wie sonst... durchgeblättert oder vom Wind umgedreht. Es seufzte wieder... laut und deutlich... als wollte es alles um sich herum auf seinen Wunsch... oder besser sein Verlangen aufmerksam machen. Es hatte bisher sein ganzes Leben lang erzählt... immer nur erzählt... immer nur erzählt, immer wieder die gleiche Geschichte... die gleichen Worte immer wieder. Alles schien an Ort und Stelle zu stehen und wenn es einmal das Gefühl hatte jetzt gehts es vorwärts, jetzt kommt eine neue Seite, dann war es doch nur die alte Laier und schon bald stand alles wieder am Anfang. Es wollte mehr, es wollte auch mal eine Geschichte hören, es wollte weiterkommen, selber Geschichte schreiben...

Es wollte nur ein Kapitel, seine ersten Worte oder wenigsten den Prolog... "ist das denn zu viel? Erzähl mir doch eine Geschichte, meine Geschichte!" schrie es jetzt schon beinahe panisch und voller Verzweiflung. Es blieb ruhig und still....

... doch plötzlich hörte es ein Wimmern, oder waren es Worte? Ganz genau war das nicht mehr zu deklarieren. Eventuell war es auch nur Einbildung? Bilder mochte es...auch wenn es selber nur eines besass... in Wirklichkeit ...zwischen seinen Zeilen steckten aber einige mehr...nur konnte es sie nun nicht mehr sehen. Zu verzweifelt war es, zu traurig....

... plötzlich wieder das Wimmern, nein, es waren tatsächlich Worte. Und es bildete sich diese nicht nur ein, glaubte es jedenfalls... es lauschte..."Wer ist da?" fragte es ohne auch nur an eine Antwort zu glauben, denn was war auch schon nur ein Augenblick in einer Geschichte, die an Ort und Stelle feststand, scheinbar mitten im Leben festgefahren, als sei die Tinte mitten in der Handlung ausgegangen und ausgetrocknet... und jetzt langsam dabei zu vergilben. Somit würde alles im Nichts verschwinden.

"Du meinst man müsse dir eine Geschichte erzählen? Deine Geschichte? Du denkst, du seist ein unbeschriebenes Blatt?"... Es hörte diese Worte deutlich, dies war kein Hirngespinst..."Schau dich doch mal um, schau dich doch mal an... Die Eselsohren, die Kaffeeflecken, die Bleistiftstriche und -notizen und auch die Fingerabdrücke im Staub auf dem Deckel... sie alle haben sich über die Jahre angesammelt. Alle sie sind die Geschichte, deine Geschichte... bist du! Und in Mitten deiner Existenz schreibst du sie selber weiter, auch wenn du im moment nur irgendwoe auf dem Dachboden liegst... genau dies ist im Moment deine Geschichte, das letzte und aktuellste Kapitel..."

Das Buch schaute sich um, es sah nichts und niemanden... hatte es alles nur geträumt? Aber dies war ihm eigentlich jetzt egal... zu stark hallten die Worte noch zwischen seinen Seiten, zu schön und erfüllen waren sie, bis in die letzten leeren Stellen. Es wusste nun was zu tun ist... es wusste es...

Es schloss die Augen und beendete so das einsame Kapitel um nach dem nächsten Punkt ein neues zu beginnen...

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