Donnerstag, 18. Juni 2009

Vier Leben

Er wusste davon. Er wusste auch, dass Katzen, so wurde damals noch behauptet, sieben Leben haben, Menschen hingegen nur eines. Dieser Tatsache bewusst beging er jeden Morgen den gleichen Weg, tat er jeden Tag die gleichen oder immer hin ähnlichen Dinge, kam er jeden Abend nach Hause, kochte, ass, vergnügte sich noch ein Weilchen um auszuspannen und legete sich dann schlafen. Dies war sein alltägliches Allerlei, dies war sein Leben. Er merkte erst später, dass dies nur das Leben Nummer 1 war.

Seine Katze hiess Lava. Er hatte ihr diesen Namen nicht gegeben, viel mehr war es seine Ex-Freundin, die sich auch den kleinen Haustieger angeschafft hatte. Die Katze hatte schon viel durchgemacht, hatte schon viel erlebt, war schon lange weggeblieben von ihrem vertrauten Heim, aber Lava kam immer zurück. Er wusste, Lava hatte sieben Leben und er war wohl nur eine kleine Nummer darin, sein Leben war für Lava nicht die Nummer eins. Er merkte erst später, dass alles, was er mit Lava und somit mit seiner Vergangenheit, die daran gebunden war und die sich doch über 15 Jahre hinweg erstreckte, sein zweits Leben war.

Er langweilte sich, er fand sich selber langweilig, er fand sogar sein eigenens Leben langweilig, früher. Nun wusste er um seine Leben, nun war im bewusst, dass dieses Einerlei noch nicht dem Allerlei seines ganzen Seins entsprach. Er langweilite sich damals, er langweilte sich so sehr, dass er nachts nicht mehr schlafen konnte aus Angst wohl, irgendeinmal an Langeweile elendig zu Grund zugehen. Als er nun eines Nachts so dalag, sich wälzend von links nach rechts und auf dem selben Weg wieder zurück fiel ihm eine Eigenheit an seiner Person auf, die er bisher noch nicht realisiert hatte: Er konnte im Dunkeln sehen. Zuerst glaube er es nicht und dachte seine Müdigkeit, sowie seine Langeweile spielten im Übel mit und riefen Halluzinationen hervor. Später nach verschiedenen Versuchen, nach dem nichtigen Wegbleiben dieser Eigenschaft, nach dem austesten der Grenze dieser Fähigkeit, später merkte er, dass diese Fähigkeit zu seinem dritten Leben geworden war.

Es machte für ihn durchaus Sinn, dass das Leben dreigeteilt war, basierte doch vieles in der Realität der Menschen auf der Zahl drei: Die Welt war 3-Dimensional gebaut, viele suchten Schutz in der heiligen drei Faltigkeit und sogar solche Kleinigkeiten, wie seine Kaffeepause, spielte sich meistens um drei Uhr am Nachmittag ab. Und er hatte drei Leben. Eigentlich mit dem Gefühl der Vollkommenheit seines Daseins, dass es schaffte, seine Selbstzweifel in Luft aufzulösen, hatte er durchaus aber immer noch den Drang, diesem Mysterium seiner drei Leben auf den Grund zu gehen. Er wollte wissen, für was sie standen. Lava war dabei wohl seine Vergangenheit, er wollte schon als kleines Kind einen solchen Kater, er verband viele Erinnerungen nicht nur mit seiner Katze, sondern mit vierbeinigen Haustigern allgemein. Seine tägliche Realität war wohl das Hier und Jetzt, der Moment, die Gegenwart die er vorwärtstrieb mit jedem Schritt den er ging. Diese Gegenwart brauchte eigentlich keine Vergangenheit, war sie doch immer gleich und somit nie aufs Neue überraschend. Er erinnerte sich nie an seine Tätigkeitenb die er durch en Tag vollbrachte, er erlbte sie ja sowieso immer und immer wieder. Es blieb noch seine Fähigkeit ins Dunkle zu sehen und über diese zerbrach er sich stetig den Kopf, diese Eigenschaft war es, die er nirgend einordnen konnte, denn aus der logischen Abfolge von Vergangenheit und Gegenwart müsste, nach dem Prinzip der Zahl drei, nun ja die Zukunft folgen. Aber auch für einen ausgesprochenen Pessimisten wie ihn war das sehen ins Dunkle keine Eigenschaft für in die Zukunft zu blicken. Sie war anders, sie war erfüllender. Er merkte, dass er keine Zukunft hatte.

Viele Jahre verstrichen ohne je eine Antwort auf diese eine Frage gefunden zu haben. Viele weitere Jahre in denen er aber nun sichtbar glücklich lebte, hatte er doch drei Leben und nicht nur eines, wie so viele um ihn herum, dieser Überzeugung war er, innerlich und unsichtbar, nur durch seine besondere Eigenschaft visuell greifbar, war er aber zerissen, war er unvollständig, er war ohne Zukunft. Er liebte jedes seiner Leben, wollte es für nichts hergeben, ausser für die Antwort auf die Frage, wie diese eine Fähigkeit für die Zukunft stehen konnte. Eines Tages nun traf er sie, sprach mit ihr tagelang, später auch nächtelang, sie trafen sich immer öfters, sie kamen sich näher und er lernte sie lieben. Sie entwickelte sich zu einem festen Bestandteil seines Ganzen. Er merkte, sie brauchten einander.

Als er nun alt war und seine Gedanken immer und immer wieder ordnete realisierte er die vierte Dimension. Er merkte, dass er nicht nur drei Leben besass, er hatte vier und sie war seine Zukunft geworden.

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