Montag, 12. Januar 2009

Die Aposiopesis

Eine Aposiopesis verirrte sich eines Tages, so unerwartet, wie plötzlich, in einen Text. Fassungslos ab dieser Situation, hilflos aber der Unbekanntheit der Umgebung, aber zweifelos selbstsicher, kletterte sie zwischen den Zeilen umher, hangelte da an einem "E" herum und baumelte dort von einem grossen "T". Kurz: Es, oder besser:sie, schob oberflächlich die Zeit vor sich hin, obwohl tiefgründig wohl andere Ursachen zur Erklärung der Belanglosigkeit ihres Tuns herbeigezogen hätten können. Die Aposiopesis war das erste Mal alleine.

Vorher, in ihrer bekannten und alltäglichen Umgebung, war sie der Chef, sie war das Momentum, das nur dann vor den grossen Vorhang auf die Bretter, die die Welt beudeuten mögen, trat, wenn das Gezeigte, das Gelauschte, das Gehörte, das Präsentierte sich zusammen braute und als geballte Ladung auf den Höhrer niederprasselte. Sie war die Königin, sie war die Linie, die unterstrich und hervorhob, sie war einzigartig in ihrer Art.

Doch dann geschah es, dass die Abruptio den Anspruch erweckte, die Aposiopesis als Königin, nun, eigentlich gar Kaiserin, von ihrem hohen Trohn zu stossen. Sie war kantiger, markanter und härter als die Aposiopesis, sie glich einer klaren Trennungslinie, einem abrupten Stopp gar, der den Zuhörer aufschrecken, erschaudern und auf eine eigene Art auch erstaunen liess. Ganz anders war da die Aposiopesis, sie war emotionaler, empathischer und gewandter in Struktur und Linienführung der Dramatik. Bei ihr war nichts abrupt, bei ihr war nichts hart und kantig, sie führte den in Gedanken versunkenen Lauscher vielmehr auf diffisile und gar unbewusste Art ins Nichts, um genau mit dieser Abwesenheit von jegwelcher Art von Geräusch eine Provokation zu erschaffen, die seinesgleichen nur selten finden mag. Doch mit ihrer feinfühligen und sanften Art, Macht auf die Masse auszuüben, war sie auf kurze Distanz gesehen der Abruptio unterlegen, war ihr gar untergeben, fast unterworfen. Ihre Wirkung erlangte sie nicht abrupt und plötzlich, sondern elegant nach und nach. Auf diese Weise konnte sie aber nicht auf das plötzliche Stoppen der Handlung, auf das unerwartet auftretende Machtvakuum, das die Abruptio an diesem Tag aus dem Nichts hervorzauberte, reagieren, sie konnte nur noch agieren und war mit dieser Aktion ein unbeachteter Pausenfüller. Die Abruptio hatte sie aus der Postion des Machtausübers über die Masse verdrängt.

Die Abruptio hatte die Aposiopesis in die Literatur verbannt. Dort, draussen in den Weiten von Buchstaben, Sätzen und Syntax, mitten unter Umlauten, Satzzeichen und Metaphern, irgendwo zwischen Stilfiguren, Trennungen und Titel, war sie hilflos. Zu ungewohnt war die Situation, zu undurchsichtig die Handlungsmöglichkeiten. Die Aposiopesis war hier keine Kaiserin mehr, keine Königin, sie besass keine Macht, konnte sich nicht inszenieren, sie war viel mehr ein deplazierter Pausenclown, der, bestellt und nicht abgeholt, ein eigenartiges Dasein fristete.

So hielt sie sich lange Zeit mitten im Text auf, durchwanderte die einzelnen Seiten, zuerst nur von Kapitelanfang, bis -ende, dann, als sie mehr Sicherheit gewonnen hatte, wagte sie sich weiter, über die Begrenzung eines Kapitels heraus, lernte nach einer weiteren Weile sogar Kaptiel zu übersrpingen, Quer durch den Text zu wandeln, von hinten nach vorne zu preschen und dies alles, ohne je einmal über den roten Faden zu stolpern oder ihn gar aus den Augen zu verlieren. Denn und das hatte sie schon bald von verschiedenen Seiten eingeflösst bekommen, ohne den roten Faden war man im Text verloren, man versank förmlich darin, machtlos, schwamm orientierungslos durch eine Buschtabensuppe, die der grösse eines ganzen Meers zu gleichen schien und trotzdem nirgends ein Ende nahm, es sei denn, man fand, auch wenn nur eine kleine Faser, nur ein kleiner Spliss des roten Fadens wieder, dies schien und war wohl auch tatsächlich die einzige Rettung. So hütete sich die Aposiopesis diesen roten Faden auch nur aus dem Sinn zu lassen, er war ihr Lebensstrang.

Durch das viele Wandeln, Wandern und Umherschweifen, machte sie viele Bekanntschaften mit allerlei Metaphern, Interpunktionen und Fussnoten, die ihr einige interessante Dinge über Literatur und deren Gepflogenheiten beibringen konnten. Sie fühlte sich Tag für Tag wohler an dem Ort ihrer Verbannung, sie war schon beinahe wieder glücklich. Doch dieser winzige Schritt zur gänzlichen Vollkommenheit eines glücklichen Daseins konnte sie nie vollbringen, ohne in ihre Geliebte Umgebung zurückzukehren zu können, ohne jegliche Instrumente an ihrer Nase herumtanzen zu lassen, um sie schlussendlich auf dem Höhepunkt zum verstummen zu bringen, ohne das Gefühl jener Macht, das Publikum fest im Griff zu haben, ohne dabei den Anspruch einer Ausbeuterei erwegen zu wollen und ohne die Gewissheit, die Kaiserin der Partitur zu sein, ohne dabei je geadelt zu werden. Die Aposiopesis wollte zurück, zurück zum Glück.

Eines Tages nun, sie war gerade einen Absatz am durchstöbern, den sie vorher eigentlich noch nie wirklich beachtet hatte, stiess sie auf eine Klammerbemerkung, die sie zum nachdenken veranlasste:"Alles, was schnell und plötzlich emporsteigt, wird um so schneller am Boden der Tatsachen aufprallen". Die Aposiopesis war auf einmal zufrieden. Am nächsten Tag packte sie ihre sieben Sachen, verabschiedete sich vom Klammermann, dem Vowort und dem Index, liess Grüsse ans Inhaltsverzeichnis und den Druckfehler auf Seite 313 ausrichten und machte sich auf den Weg zurück in ihre Heimat.

Schon bald war sie wieder dort, wo sie hingehörte, war sie wieder das, was sie sein musste, war sie wieder Königin und Kaiserin zu gleich und war sie es wieder, nach deren Geige alle tanzten, auch wenn ihre Wirkung die Ursache ihres Schweigens war. Sie war nicht mehr einsam, sie war wieder ganz und gar glücklich.
Die Abruptio hat niemand mehr gesehen, so schnell und plötzlich, wie sie an die Macht gekommen war, so unerwartet sie den Zuhörer in ihren Bann ziehen konnte, so pompös sie Wirkung ausstrahlte, genau so schnell, plötzlich, aber nicht unerwartet, verfiel sie der Langeweile... nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der der Lauscher...

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