Montag, 23. Februar 2009

Das Floss

Langsam trieb es Strom abwärts, langsam, angepasst nur an die Geschwindigkeit, die die Wassermasse um es herum, sowieso zu fliessen vermochte. Es schwamm nicht, es trieb, es liess sich einfach treiben, für einmal. Es war noch nicht lange her, da war alles ganz anders, da trieb es an, da bestimmte es das Treiben und es selber, es trieb nicht nur, es schwamm, stolz schwamm es. Es war mächtig, mächtig in den einzelnen Bestandteilen, mächtig in den verschiedenen Arten, aus denen es erzeugt und erbaut wurde, mächtig auch in seiner Funktion und Aufgabe. Es war stets hilfsbereit, es war stets bereit, immer dann, wenn Not am Mann war und natürlich auch dann, wenn diese an der Frau war. Es half überwinden, es half zu legen, nicht vor, dieses Hervorplustern und in den Mittelpunkt stellen hätte ihm gar nicht entsprochen, es half viel mehr zurück zu legen, nicht nur Teilabschnitte oder Kurzstrecken, wie es dies ganz am Anfang noch tat, nein, mit der Zeit ganze Reisen liess es, damals jedenfalls, hintersich. Es tat dies nie für sich, nie für den Zwang das Wohl auf die eigene Seite zu bringen, es verband ja beide Seiten, es war eine Brücke zwischen der einen und der anderen Seite, es wusste was auf der anderen Seite war und es kannte auch die Gegenseite. Es war beweglich, ganz im Gegensatz zur eigentlichen Definition einer Brücke, die sich im Grunde auch bewegen kann, aber meist nur in der Vertikalen, käumlich oder selten in der Horizontalen und eigentlich nie beides zusammen. Da war es ganz anders, es war beweglich, und nicht nur, es bewegte. Bewegung war stets ein Grundbestandteil seiner Existenzlegitimation, Bewegung war seine Leidenschaft, dabei mit dem Strom zu schwimmen war leicht, nein, es war die Bewegung dagegen, die es immer wieder aufs Neue zu Höchsleistungen führte, es war die Gegenbewegung, die die Treibendekraft und Motivation in seinem Sein erweckte, es war das Gegenüber, das stets die Seite wechselte, das es so faszinierte, Fahrt für Fahrt, Bewegung und Gegenbewegung aufs Neue. Es war, damals, glücklich. Es war später, im vollen Saft des Lebens, frisch und fest, enggebunden, unbeugsam weder durch Wetter noch durch Last und doch, doch war es das Letztere, das ihm schlussendlich seine Existenz nahm. Auch wenn vom Wetter beeinflusst, auch wenn es selbst in die Jahre gekommen war, und gerade weil im Laufe der Zeit der Fortschritt von ihm hinfort Schritt und sich mit voller Wucht entgegenstellte, seine Last wurde ihm zur Bürde. Angekettet lag es viele Tage einfach nur da, still, auf der einen Seite, die andere missend und unbelastet belassen, seinem Schicksal überlassen. Viele Tage lag es so nur da. Dann, eines Morgens, beschloss es, sie ein letztes Mal zu bewegen, ein letztes Mal die Gegenseite zu sehen, auch wenn es diese nun im Sinn zu gut kannte, ein letztes Mal wollte es sich fort bewegen, fort, für immer. Es rüttelte leicht an der Aussenplanke, rüttelte stärker, versuchte den Strick zwischen dem ersten und zweiten Stamm zwischen die scharfe Metallkante am Ufer zu bringen, versuche es immer wieder, schlug dagegen, schlug heftiger und fester, gab nicht auf, bis zum Schlus die erste morsche Planke nachgab und es fort liess, fort in die Freiheit, fort in die letzte Freiheit. Es hatte den Kampf gewonnen, es hatte auf der ganzen Linie gesiegt, es bewegte sich wieder, es bewegte sich fort, ein letztes Mal.

Langsam trieb es Strom abwärts, langsam, angepasst nur an die Geschwindigkeit, aber dennoch angepasst, mit dem Strom, ein aller letztes Mal.

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