Sonntag, 7. Juli 2013

Zerreissprobe

Sie liebte es, sie liebte alles daran. Zum Beispiel seine Standhaftigkeit und (dennoch) auch seine Offenheit sich dem drehenden Wind immer wieder anzupassen und sich mitwehen zu lassen, ohne dabei aber wirklich einztubrechen oder an den Dingen, die durch sein ganzes Leben immer wieder von Aussen einwirkten, zu zerreissen. Sie waren über Jahre unzertrennlich, erlebten Hochs und Tiefs, Sonne und Regen, Frühling bis Herbst und ein paar wenige Male auch den Winter. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und auch wenn sie sich nicht zu der romantischsten Sorte von Menschen der Weltbevölkerung zählte, vermisste sie jedesmal die Nestwärme zwischen ihnen, wenn sie sich wieder für eine Zeit trennen mussten. Es war im Grunde alles so wie sie sich das früher immer vorgestellt hatte.


Sie wusste, dass sie keine Garantie (mehr) hatte, dass diese Zweisamkeit ewig halten würde. Sie hatten so viel gemeinsam durchgemacht und so viele Nächte zusammen verbracht, manchmal alleine und manchmal mit anderen zusammen, so dass die Gedanken an die Endlichkeit ihrer Zweisamkeit mit zunehmender Zeit immer schwerer auf ihren Schultern lasteten. Sie drängte solche Momente ins Innerste ihres gesamten Gedankenguts zurück und verschloss die emotionalen Türen. Sie wollte die Zeit geniessen, im Damals wie auch im Dort.

Doch dann kam jene Nacht, die ihre Träume und Sehnsüchte im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Zerreissprobe stellte. Es war irgendewo auf der Welt, in den nördlichen Breitengraden, wie es die Beiden durch die Jahre öfters zu bereisen pflegten und es war ein wunderschöner Sommertag gewesen. Nicht so, dass man die Luft um sich herzum stehen fühlen konnte, aber auch nicht so, dass man frösteln musste, wenn ein lauer Wind durch die Landschaft strich. Sie sassen den ganzen Tag zusammen an einem einsamen See, irgendwoe in der Einsamkeit, umgeben nur von grossen Bäumen, die die Zeit langsam durch den Tag wogen. Nichts schien diese Idylle zu stören.

Die schwarzen Wolken kamen wie aus dem Nichts, doch schienen sie - aufgrund ihrer Bedrohlichkeit - schon immer irgendwo über der Beziehung geschwebt zu sein, als wären sie das Schwert von Damokles, dass die Liebe mit dem nächsten Hauch jäh in zwei Stücke zu schneiden drohte. Sie stand auf, während das Unbehagen in ihrer Seele aufkeimte, auch wenn sie sich früher sicher war, dass es eine solche nicht gab, und sie flüchtete sich in seine Arme, in die Geborgenheit seiner Wärme, zwischen die vier Wände seines Seins.

Zwanzig Minuten später hörte sie den ersten Donnerschlag, sie sahz die Blitze, die sich durch ihn durch frassen, als wären es scharfe Klingen, die durch die buttergleichen Wände glitten. Sie kauerte sich in eine Ecke, umgeben von seiner erhofften Stärke und zog die Decke weit über ihren Kopf. Sie hatten zusammen schon viele Stürme erlebt, viele Wogen konnten sie gemeinsam glätten. Er war jeweils - in diesen Momenten - immer für sie da. Sie war sich sicher, er würde es auch diesemal schaffen.

der 1. Windstoss brach die Stange im Vorzelt, die unzähligen Weiteren zerfetzten die Aussenhülle. Zusammengekauert in der Ecke lauschte sie seinem einsamen Kampf gegen die Naturgewalten. Der letzte Windstoss hauchte dann aber auch seinem Innersten das letzte Leben aus.

Regungslos lag es da, als sie sich aus seinem Armen befreite und in die Nacht hinausschritt. Der letzte Blick zurück, voller Sehnsucht auf all die schönen, gemeinsamen Momente und dann verschwand sie in der inzwischen aufgetürmten Dunkelheit, den Lichtern in der Ferne folgend, die Hoffnung auf ein nächstes Kapitel in ihrer Reisegeschichte aufrechterhaltend. Aber von da an hauste sie nur noch in Hotels, Gaststätten und sonstigen Unterkunftsgebäuden.

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